Das dunkle Rad Kapitel 5 Eine Ebene Zurück Home Das dunkle Rad Kapitel 7
KAPITEL SECHS

Sie waren seit drei Standard-Monaten als Kauffahrer unterwegs gewesen,
und ihre Kobra, die NEMESIS, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem ver-
beulten Raumer, in dem Sternen-Händler Henry Bells seine letzte Ruhe
gefunden hatte.
   Die Risse und Löcher waren geschweißt, das Schiff hatte einen frischen
Anstrich und eine neue Bemalung bekommen, außerdem waren Bunker und
Aufbauten für die verschiedensten Waffen installiert worden. Die NEMESIS
sah fast schon wie ein Kampfschiff aus.
   Drei Monate als Kauffahrer. Und nicht für eine Stunde eines Tages dieser
drei Monate hatte Alex den Zweck vergessen, den er mit dieser Beschäfti-
gung verfolgte. Irgend etwas -besser: irgend jemand -tötete,als Händler
getarnt, seinen Vater und versuchte sein Bestes, um auch ihm das Lebens-
licht auszublasen. Sein Vater hatte ein Doppelleben geführt, und er hatte,
einem uralten galaktischen Brauch folgend, seinen Sohn zu seinem Nachfol-
ger erkoren.
   Es lag Alex Ryder fern, seinen Vater zu enttäuschen.
   Es gab einfach zu viele Fragen, er verspürte zuviel Trauer, zuviel Zorn.
Auch bei Elyssia, das fühlte Alex, brodelte es unter der Oberfläche. Die
Teorgonin zeigte selten Gefühle, verbarg sie hinter einer kühlen, schnod-
derigen Fassade.
   Sie hatten eine gemeinsame Aufgabe, eine Aufgabe, an der sie wachsen,
an der sie stark werden konnten. Sie würden eine gewisse Zeit warten müs-
sen, aber beide waren bereit, diese Wartezeit mit soviel Ruhe und Geduld
wie möglich zu überstehen. Aber es war nicht einfach -für keinen von
beiden. Besonders für Alex, der nun Blut an den Händen hatte...
   Das Scharmützel mit den beiden Piraten-Schiffen hatte die Bemalung der
NEMESIS ein wenig angekratzt, außerdem waren ein paar Außenplatten
verloren gegangen; sie mußten also an einem Reparatur-Satelliten anlegen,
wo jedoch die Reparaturen keine Kosten verursachen würden, da sie sie ja
mit den Prämien verrechnen konnten.
   Im übrigen war dies zwar Alex erster Kampf gewesen, nicht aber ihr er-
stes Gefecht überhaupt. Elyssia wäre sicher als 'gefährlich' einzuschätzen
gewesen -hätte sie das Recht gehabt, derartige Rangstufen zu erwerben.
Bisher war es so gewesen, daß alle Pluspunkte, die sie bei den vorange-
gangen Geplänkeln gesammelt hatten, Alex gutgeschrieben worden waren.
Zum ersten Mal hatte er jetzt das Gefühl, zumindest andeutungsweise be-
wiesen zu haben, daß er diese Klassifikation verdiente.
   Von seinem Sitz an der Konsole aus steuerte er das Schiff bis zu einem
Punkt, der etwa 1000 Kilometer über der Oberfläche der sterbenden Welt
lag. Er war ihr jetzt so nahe, daß sie den gesamten Bildschirm ausfüllte. Mit
gedrosselter Geschwindigkeit vollführte er einen Looping- und da war sie,
die Raumstation: ein glänzender, langsam rotierender Metall-Kubus mit
einer Einflug-Öffnung, die wie ein sich drehender, großer Rachen aussah.
   'Ein Himmelreich für einen Andock-Computer!' als er damit begann,
Drehmoment und Näherungsgeschwindigkeit einander anzupassen. 'Geld-
verschwendung!', tadelte Efyssia. 'Wenn Du nicht andocken kannst, ohne
dir Deinen Lack zu verkratzen, hast Du im Weltraum nichts zu suchen.'
   Alex war ein guter Pilot, aber sich durch den Einflug- Tunnel einer
Coriolis-Station zu winden, bereitete ihm immer wieder Schwierigkeiten.
   Dennoch schaffte er es, und als sie sich erst einmal im riesigen Hangar der
Coriolis-Station befanden, schleppten magnetische Kräfte die NEMESIS zu
einem freien Liegeplatz. Die Anschlußkabel für das Auto-HandeIssystem
schlängelten sich heran und klinkten in die Verbindungsstücke der Außen-
haut ein. Alex beobachtete das geschäftige Treiben im weiten, hellerleuch-
teten Vakuum -die Frachtschiffe, die Polizei-Vipern, die Reklame-
Bildwände, die Reparatur-Einheiten; alle bewegten sich langsam durch das
weiträumige Innere des Kubus, ständig bereit, mit jemandem ins Geschäft
zu kommen. Elyssia hatte sich wie gewöhnlich in der Rettungskapsel ver-
steckt. Alex deklarierte sein Frachtgut und empfing die Bestätigung seiner
beiden Abschüsse sowie die Verbuchung seines Bonus: immerhin 30
Credits!
   Die Summe deckte exakt die Kosten für eine neue Rakete.
   Als all diese Identifizierungs-, Überprüfungs- und Anmeldeformalitäten
absolviert waren, kam Elyssia wieder aus ihrem Versteck. Die Rettungskap-
sel hatte auf ihrer Einkaufsliste ganz oben gestanden und sie hatten sie für
400 Credits aus zweiter Hand gekauft. Sie hatten eigentlich nicht vor, sie zu
irgend etwas anderem als zur Geheimhaltung von Elyssias unglückseliger
und unerwünschter Herkunft zu benutzen.
   Nun begannen die Routinetätigkeiten: verkaufen, entscheiden, wo als
nächstes Geschäfte gemacht werden sollten, kaufen, was sie mitnehmen
wollten.
   Handel ist in gewisser Weise Glückssache. Bei bestimmten vielverlangten
und leicht abzusetzenden Waren wie Nahrungsmitteln, Textilien, einfachen
Maschinen und bescheideneren Luxusartikeln springt garantiert immer ein
kleiner Profit heraus. Aber die laufenden Kosten für den Unterhalt des
Schiffs oder ein gelegentliches Gefecht können den Gewinn auffressen, so
daß alles umsonst war. Es ist zum Beispiel auch unmöglich, die Markpreise
anderer Systeme in Erfahrung zu bringen. Alle Regierungen wachen eifer-
süchtig über ihre Börsen-Informationen und es setzt harte Strafen, wenn
jemand den Preis auch nur eines einzigen Artikels über die Grenzen eines
Systems hinaus verbreitet.
   Außerdem ändern sich die Preise ständig; Spekulanten lauern nämlich in
jedem System, egal wie arm es ist. Eine Tonne gefrosteter Blasengeißel, für
die man einen Monat zuvor auf Ceinzala noch acht Credits bekommen hät-
te, und für die man auf ihrem Herkunftsplaneten drei Credits bezahlte, ist
plötzlich nur noch zwei wert. Dabei braucht sich die Nachfrage nicht einmal
verringert zu haben. Vielmehr haben da die Spekulanten heimlich die Börse
unter Druck gesetzt und den Preis festgelegt. Ein Glücksspiel eben.
   Alex und Elyssia waren im Großen und Ganzen erfolgreich gewesen. Sie
hatten vargornische Mental-Seide von Rebexe nach Inera transportiert und
dabei ihre ursprünglichen 100 Credits verdoppelt. Bei einer Fuhre mit Gold-
schuppen gereteanischer Reptilien hatten sie so gerade ihre Unkosten
hereingeholt. Sie hatten 20 Tonnen Sonnenblumenkerne zu den grotesk
aussehenden amphibischen Bewohnern von Bierle geflogen, die sie als eine
besondere Delikatesse schätzten, nur um an Ort und Stelle festzustellen, daß
eine bewußtseinsveränderude Massenmutation die Geschmacksnerven der
gesamten Bevölkerung verändert hatte. ..Nun war man auf der Suche nach
einer anderen Speise, mit der man die Gaumen der Bierlianer erfreuen
konnte. Schmieröl war begehrt, auch nach Lavendel duftende Taschen-
tücher. Aber irgendwo würden sie einmal den großen Reibach machen.
Morgen oder übers Jahr.
   Es war erstaunlich einträglich, Apparate von hochtechnisierten Planeten
zu weniger entwickelten zu bringen, und auf Welten mit fortgeschrittenem
industriellem Standard konnte man immer mit einer Nachfrage nach
Luxusartikeln rechnen. Aber die Shanaskilk-Felle, die sie hier auf Xezaor zu
verkaufen gedachten (und die sie für 30 Credits die Tonne erstanden hat-
ten), versprachen ihr bisher bestes Geschäft zu werden. Alex war nervös, als
er die Liste mit den Einkaufspreisen aufrief.
   Dieses Mal hatten sie das Glücksspiel gewonnen.
   Ohne Schwierigkeiten wurden sie die Felle los. Dann ließ sich Alex die
Preisliste für Ausrüstungsgegenstände und Waffen geben. Eine neue Rakete
kostete wie gewöhnlich 30 Credits. Er orderte eine und ein kleines Robot-
schiff schwebte davon, um sie zu holen. Dauer-Strahler kosteten 1000 Credits
und beinahe wäre Alex der Versuchung erlegen, einen anzuschaffen. Der
Preis für einen Brennstoff- und Materie-Lader, den die NEMESIS so dring-
end benötigte, war mit 525 Credits außergewöhnlich hoch. Eine Energie-
Bombe kostete jedoch das Doppelte!
   Aber ein Brennstoff-lader konnte sowohl als Bergungsgerät benutzt wer-
den, als auch zum Auffüllen ihrer Energie-Speicher dienen; mit seiner Hilfe
konnten sie gewissermaßen Sonnen 'anzapfen'. Er war folglich eine gute
Kapitalanlage, selbst wenn er 100 Credits mehr als angenommen kostete.
   Alex orderte den Brennstoff-lader. Lieferung und Einbau würden einen
Standard -Tag dauern, 20 Stunden also. Erst einmal tankte Alex das Schiff auf
und versorgte sich dann mit xezaorianischen Delikatessen.
   Ihnen blieben 320 GalCredits, um Handelswaren zu kaufen- nicht über-
mäßig viel. Andererseits hatte ihr Schiff jetzt extrastarke Schutz-Schirme,
konnte Strahler und Raketen in alle vier Richtungen abfeuern, besaß ein
Raketen-Abwehr-System und einen Brennstoff-lader.
   Sie waren auf dem besten Wege, die NEMESIS in einen Schlacht-Kreuzer
zu verwandeln.
   Elyssia und Alex sahen zusammen die liste der planetarischen Verkaufs-
Preise durch. Dafür, daß die Xezaorianer eine Vorliebe für exotische Dinge
hatten, war ihr Angebot ziemlich dürftig. Zwei Drogen gab es: arkturiani-
sches Lachkraut und -seltsamerweise -Tabak; Alex überlegte hin und
her, was er tun sollte.
   'Wir könnten ein bißchen Tabak mitnehmen...
   'Neenee', murmelte Elyssia, 'das ist nicht gut. Für manche Rassen wirkt
Nikotin selbst in kleinen Dosen tödlich.'
   'Und wenn wir ihn auf einer von Menschen bewohnten Welt verkaufen?'
   'Immer noch zu riskant!'
   Mineralien wurden angeboten, jedoch sehr teuer. Durassion -eines der
Metalle, das, veredelt und 'zeit-gedehnt', als Duralium zum Bau von Raum-
Schiffen verwendet wurde, kam auf 8 Credits die Tonne. Man würde es
außerordentlich gut auf Lave loswerden, aber Lave war jetzt viele Lichtjahre
entfernt und wenn irgendein ertragreicheres Dura-Erz gefunden wurde,
konnte der Preis ins Bodenlose fallen.
   Auch zu riskant.
   Edelsteine? Es gab Maroone, silber-spektonale und rot-grüne Emeronde
im Angebot, aber eine Piratenbande würde solche Beute auf zwei Lichtjahre
riechen.
   Auf dem Kuriositäten-Markt waren zweihundert fossile
Dironothazaurier-Knochen zu haben, jeder für vierzig Credits.
   'Hast Du jemals davon gehört?' , fragte Elyssia.
   'Ich habe sogar schon mal welche gesehen', antwortete Alex. 'Und welche
GEHÖRT. In einem Museum auf meiner Heimatwelt. Sie tönen. Sie sind
über vierzig Millionen Jahre alt und sie tönen immer noch. Auf irgendetwas
scheinen sie zu warten -darauf, daß sie ausgebrütet werden oder auf einen
Klimawechsel. Sie stammen wahrscheinlich aus der Beckengegend der
Tiere, können also durchaus Inkubations-Kokons sein. Niemand weiß
Genaueres.
   ...'
   'Sind sie wertvoll?'
   'Sehr. Wie wertvoll allerdings, weiß ich nicht.'
   'Prüf' nach, ob es irgendwelche Bestimmungen gibt.'
   Das tat Alex. Es existierten keine Einfuhrbeschränkungen, auch keine
möglichen Straftatbestände in Zusammenhang mit dem Handel mit diesen
Tierknochen.
   'Besser als Nahrungsmittel...' , sagte Alex.
   'Auf jeden Fall', stimmte ihm Elyssia zu.
   'Dann nehmen wir sie also...'
   'Ja klar.'
   Als jedoch Alex seine Bestellung mit Hilfe des Bordcomputers aufgeben
wollte, erschienen auf dem Bildschirm die Worte: 'Botschaft für Sie!'
   'Rafe!', rief Alex. Und auch Elyssia schien erfreut über die Aussicht, Rafe
Zetter wiederzusehen und mit ihm zu sprechen. Aber als Alex die Annahme
des Rufs bestätigt hatte, erschien auf dem Monitor nicht der verhutzelte,
bärbeißige alte Sternenhändler. Nichts dergleichen.
   Es war zweifellos ein Mensch und nicht ein humanoider Extraterrestrier,
der sie anblickte. Was mit seinem Gesicht passiert war, konnte man nur
erahnen. Auf vielerlei Weise konnten sich menschliche Züge in einen
Alptraum verwandeln: indem man zu nahe an gewisse Sterne heran flog,
oder zu oft dem Vakuum zwischen den Sternen ausgesetzt war, oder durch
Arbeit in bestimmten Erz- und Mineralien-Bergwerken. Welches Malheur
aber dem Anrufer passiert war, in dessen von knolligen grauen Schwel-
lungen entstelltes Fleisch Alex jetzt blickte, war nur schwer auszumalen.
   Lippen wie zuckende Altweibersommerfäden zitterten in der grauen
Masse. Eine skelettartige, verkrüppelte Hand mit grellroten Blutgefäßen
schoß aufwärts und berührte eine Strähne des rotbraunen Haars, das in
einem grotesken Ring um den deformierten Schädel wuchs.
   'Du bist Ryder?' Wenigstens die Stimme war normal- und männlich.
   'Identifizieren Sie sich erst einmal, Fremder!'
   Aber der andere Mann ignorierte seine Frage einfach und fuhr fort:
   'Womit handelst Du zur Zeit? Mit Mineralien? Mit Spezialitäten?'
   'Was geht Sie das an?'
   'Was immer Du zu kaufen gedenkst, ich kann Dir was Besseres bieten.'
   'ich würde nicht mit Ihnen handeln, selbst wenn ich mich an einer Super-
nova heißgelaufen hätte.'
   Der Mensch grinste (jedenfalls sah es so aus).
   'Rafe Zetter würde es tun. Weshalb bist Du so nervös?'
   'Sie kennen Rafe?' , fragte Alex verwirrt und bestürzt, als er den mon-
strösen Mann den vertrauten Namen nennen hörte.
   'ich und das halbe Universum.' Der Deformierte beugte sich näher zum
Monitor. Seine Gestalt füllte nun den ganzen Bildschirm aus. 'Parasiten.'
   'Wie bitte?'
   'Dies hier. Dies...' Er zeigte auf sein Gesicht. 'Parasiten. Spinnenwürmer.
Als ich mal was auf Dykstras Planeten zu tun hatte, haben diese kleinen
Dinger ihre Zuneigung zu mir entdeckt. Dies hier sind ihre Larven! un-
gefähr 2 Millionen von ihnen. In etwa 10 Jahren werden sie ausschlüpfen
und das wird dann das Ende von mir sein. Ein Trost wäre, wenn ich dann
gerade auf einer Party mit jemandem speiste, den ich überhaupt nicht
leiden kann; aber solche Sachen lassen sich leider nicht vorausberechnen.
Auf jeden Fall kann ich Dir nicht böse sein, daß Du mir nicht getraut
hast...'. Fahle Augen glitzerten aus den schweren, pulsierenden Falten
grauen Fleisches. ' Aber urteile nicht immer nur nach der äußeren
Erscheinung. Du bist doch Alex, nicht? Verdammt nochmal, nun sag' schon
endlich, ob ich vielleicht die falsche Nummer gewählt habe...'.
   'Ich bin Alex Ryder.'
   'Und ich bin Patrick McGreavy. Zwei Sachen möchte ich Dir sagen. Ein-
mal: Wenn Du diese Schlange zur Strecke bringst, dann bannst Du ein Ge-
spenst, das mich seit mehr als fünf Jahren verfolgt. Ich bin kein Raumpilot.
Was ich bin, tut nichts zur Sache. Es gibt von meiner Sorte mehr als Du
Sonnenblumenkerne in Deinem Leben gehandelt hast. Leute, die sich gerne
rächen würden, die das aber nicht selbst tun können. Wenn Du die Schlange
tötest, dann erweist Du uns allen einen großen Dienst.'
   Alex konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl ihm selten weni-
ger nach Lächeln zumute gewesen war als im Augenblick. Ihm war, als
würde er gelenkt, manipuliert -wie ein automatisches Schiff, fernge-
steuert, programmiert, endlose, sinnlose Kreise zu fliegen. Was in
Dreiteufelsnamen ging hier vor? Er war Jason Ryders Sohn und bis vor drei
Monaten hatte seine ganze Gefechtserfahrung aus Simulations-Kämpfen
bestanden. Seine Pilotenlizenz war noch taufrisch. Und trotz alledem war er
irgendwie auserwählt, als Rachegott wild über ein Raumschiff herzufallen,
das natürlich viel mehr war als nur ein einfacher- wenn auch tödlicher -
Pirat.
   Da gab es Menschen, die zu ihm aufsahen, die auf ihn gewartet hatten,
die Hände gefaltet, den Atem angehalten.
   Warum auf ihn? Ausgerechnet auf ihn? (Und auf Elyssia natürlich...)
   'Okay, ich habe begriffen.' sagte er ruhig. ' Aber Sie sagten: 'Zwei
Sachen'.'
   'Ja, richtig. Ist es richtig, daß Rafe Dir geraten hat, mit Shanaskilk-Pelzen
zu handeln, sobald Du Dir's leisten kannst?'
   Es war richtig; es war einer der letzten Ratschläge von Rafe gewesen, und
Alex hatte ihn nicht vergessen.
   McGreavy fuhr fort: 'Mit diesem Hinweis wollte Rafe Dich zu mir schicken.
Du möchtest ein Eisen im Feuer haben, mit etwas wirklich Wertvollem
handeln. Lösch' Deine Ladung und flieg' rüber nach South City , zum Pri-
vaten Handels-Zentrum im Magellan-Building.'
   'Ich habe schon ein Eisen im Feuer', sagte Alex.
   'Ich weiß, daß Du das denkst. Tu's trotzdem. Pack' die Gelegenheit beim
Schopf. Mach' Dich auf den Weg zum Magellen-Building in South City
Stadt.
   ...'
   Nachdem er einen Moment gezögert und einen Blick mit Elyssia
getauscht hatte, die mit den Achseln zuckte und dann nickte, stimmte Alex
zu.
   Eine Coriolis-Station ist im Grunde eine große Stadt, die, in sechs Ebenen
übereinander geschichtet, die gesamte Innenfläche ausfüllt. Das Dach der
Welt für South City ist North City. Die Lichter, die des Nachts über Deinem
Kopf glimmen, sind die Lichter von Straßen und Gebäuden.
   Alex verließ den Liegeplatz seines Schiffes und nahm ein 'Himmels'-Taxi,
um den Innraum der Station zu durchqueren. Das kleine Automatik-Schiff
glitt vorsichtig und geschmeidig zwischen den ein- und ausfahrenden
Raumern hindurch. Alex beobachtete fasziniert, wie die hochaufragenden
Gebäude von South City nach unten weg sanken und der graue Himmel
immer näherkam. Zur Linken konnte er die Muster von Straßen und Park-
anlagen der Wohnebene von Commander City erkennen. Dort, gegenüber
der Einfahrt zur Station, lebten die hohen Beamten, die Abgesandten und
Botschafter verschiedener Planeten. Extra für sie gab es in dieser künst-
lichen Landschaft Seen, Flüsse und Ski-Pisten mit richtigem Schnee.
   Unter ihm war die NEMESIS nur noch als ein winziger, pfeilförmiger
Umriß auf dem Landestreifen zu erkennen. Von oben reichten die sich auf-
türmenden Bürohäuser und Wohnblocks fast bis zu ihm hinunter- wie
regelmäßig geformte Stalaktiten.
   Dann ein Augenblick der Desorientierung, oben befand sich plötzlich un-
ten und nun war die NEMESIS ein einzelnes, blinkendes Licht am Himmel.
Das Taxi näherte sich schnell den Straßen zwischen den grauen und schwar-
zen monolithischen Bauten. Lichter verschiedener Farben blitzten und
strahlten, und von da, wo die Atmospäre begann, schien ein dunstiger
Schimmer die Stadt einzuhüllen.
   Die Straßen waren belebt und Alex benötigte nur ein paar Augenblicke,
um sich zu vergegenwärtigen, daß die Süd-Stadt das Geschäftsviertel dieser
Coriolis-Station war. Der illegale Handel florierte, vor allem mit Drogen,
Robotern, Sklaven, Stimulantien und tiefgefrorenen Organen; die Prostitu-
tion blühte. Raumfahrer spazierten langsam und vorsichtig umher, die
meisten von ihnen trugen fast ihren kompletten Raumanzug -ein sicheres
Zeichen dafür, daß man sich auf gefährlichem Terrain befand. Prostituierte
aller Geschlechter (17 waren zur Zeit in der Galaxis bekannt) und Rassen
(vor allem allerdings humanoide), machten sich von Schwebeplattformen an
ihre Kunden heran, immer bereit, schnell vor zu stürmischen, nicht geneh-
men Freiern das Weite zu suchen. Aufreißer waren rund um die Uhr damit
beschäftigt, die ungesetzlichen Vergnügungen, denen man sich in South
City hingeben konnte, anzupreisen. Über allem hinweg brausten immerfort
Polizei-Gleiter, Auto-Transporter und Ambulanzen. Die Straßen waren vol-
ler Lärm, Gedränge und Dreck.
   Das Magellan-Gebäude, ein dunkler, gedrungener Würfel, hockte inmit-
ten dieses Gewirrs wie ein großes, brütendes Untier. Fenster schien es keine
zu haben. An seinen Außenwänden glitten Fahrstühle auf und ab, bewegte
grüne Lichter, die den unwirklichen Eindruck vermittelten, als sei das
Ganze am Leben.
   Alex hatte keine Waffe mitgenommen, was er jetzt jedoch zu bedauern
begann. Praktisch jeder -oder jedes -trug, obwohl das Planeten-Orbit-
Gesetz dies verbot, ein Gewehr. Vorsichtig ging er zwischen den Gruppen
von Reptiloiden, von vermummten Amphiboiden, von gepanzerten Insek-
toiden und von gedrungenen katzenartigen Geschöpfen mit struppigen
Haaren hindurch und an grotesken Robot-Tanks vorbei, in denen Wesen,
die wie riesige Mollusken, wie Würmer oder Heidekraut aussahen, unter
Umweltbedingungen lebten, die der ihrer Heimat-Welten entsprachen.
   Er betrat das Magellan-Gebäude und zum ersten Mal war er dem Gestank
ausgesetzt, der entstand, wenn sich der Körpergeruch von tausend fremd-
rassigen Lebensformen mischte; überraschenderweise sonderten die-
jenigen, die pures Methangas tranken, einen süß wie Apfelblüten duften-
den Schweiß ab.
Die waren allerdings nicht in der Überzahl.
   Das Private Handels-Zentrum war eine weiträumige Halle, von der nach
allen Seiten Eingänge zu den Büros und Warenhäusern führten. Hier, an
diesem überfüllten, lauten Ort handelte man alles, was für den öffentlichen
Markt als zu riskant, zu außergewöhnlich oder zu alltäglich eingeschätzt
wurde. Der Händler, der seinen Laderaum mit Waren von Privaten Märkten
füllte, tat gut daran, vor seinem Abflug das Export-Überwachungssystem
des jeweiligen Planeten zu Rate zu ziehen, weil sonst die Begrüßung bei
seiner Ankunft in der von ihm angesteuerten Welt stürmischer ausfallen
konnte, als er erwartet hatte.
    Alex suchte die Wände nach einem Hinweis auf McGreavys Warenhaus
ab. Dabei bemerkte er, daß er hinter zwei großen, gefährlich aussehenden
Insektoiden stand, deren Körper mit einem hellgrauen Panzer bedeckt war,
und die ihre Facettenaugen starr auf ihn gerichtet hielten, während sie sich
in der für sie typischen, klappernden und rasselnden Weise unterhielten.
   Alex zog sich rasch zurück, sein Herz schlug heftig, das Blut war ihm in
den Kopf geschossen. Facettenaugen, Gliederfüße, auf dem Kopf ein Fühler-
paar, doppelschneidige Kiefer. ..Thargoiden!
   Hier auf einer Weltraumstation!
   Thargoiden waren absolut tödlich. Bei thargoidischen Raumfahrern
waren die Angstdrüsen entfernt worden und sie galten als die kampkräftig-
sten und fähigsten Feinde des Menschengeschlechts. Die Belohnung für
einen getöteten Thargoiden war hoch, wenn man aber ein jugendliches Ex-
emplar (den sog. Thargling) lebendig fing und es einem Raumfahrt-
Forschungs-Labor übergab, fiel sie sogar noch höher aus.
   Was hatten sie hier zu suchen?
   Die Thargoiden tuschelten miteinander, ihre kalten Augen weiterhin auf
Alex gerichtet. Er bemerkte, daß jeder von ihnen an seinem Brustpanzer
einen Halfter mit einem Hand-Strahler trug.
   'Hierher!', flüsterte eine Stimme und Alex wandte sich um. McGreavy
stand hinter ihm und blinzelte ihn durch seine Mißbildungen an. Alex war
sich nicht bewußt gewesen, wie klein dieser Mann war; er reichte ihm
gerade bis zu Brust.
   'Thargoiden...' , flüsterte er.
   'Quatsch!', sagte McGreavy und drängte Alex fort. 'Das sind Oresrianer-
und das einzige, was einen Oresrianer zu einer tödlichen Gefahr werden zu
lassen kann, ist, wenn man ihn mit seinen Erzfeinden, den Thargoiden, ver-
wechselt -wie Du es eben getan hast. Sieh' Dir immer die Brustmar-
kierungen und die Form des vierten Gliedes der Hinterbeine an, bevor Du
voreilige Schlüsse ziehst!'
   Alex folgte McGreavy , dankbar, daß er von den tuschelnden Insekten
wegkam.
   McGreavys Warenhaus war klein, eng und muffig. Alex folgte ihm ins
schwach beleuchtete Innere. Als der groteske kleine Mann die Türen hinter
ihnen schloß, begann er sich unbehaglich zu fühlen. In einigen großen,
durchsichtigen Verschlägen wälzten sich, aufgeschreckt durch die plötzliche
Störung, grunzend absonderliche Kreaturen.
   'Wollen Sie mir die hier anbieten?', fragte Alex mit leiser Stimme.
McGreavy gluckste. Er ging zum nächsten Verschlag und drehte das Licht
auf, damit man das darin befindliche Geschöpf besser sehen konnte.
   Alex machte große Augen. Das Wesen kam ihm irgendwie bekannt vor,
aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Es hatte einen dicken, hübsch
gemusterten Panzer mit Löchern in regelmäßigen Abständen am Rand. Au-
genblicklich hielt sich das Geschöpf in seinem schützenden Gehäuse ver-
steckt.
   'Was ist das?'
   'Ein Mymurth', sagte McGreavy. 'Es kommt Dir wahrscheinlich bekannt
vor, weil es einem Tier von der alten Erde erstaunlich ähnlich sieht: Schild-
kröte, glaube ich, wurde es genannt. Diese Dinger hier haQen zwei Köpfe,
vier Beine und vorne zwei Organe, die anscheinend zu nichts nutze sind.
Man hat sie nach dem Planeten genannt, von dem sie stammen. Mymurth.
Du aber wirst sie nach Cirag bringen. Die Ciragianer haben eine besondere
Beziehung zu den Mymurth.'
   'Sie essen sie?', vermutete Alex.
   'Sie VEREHREN sie', verbesserte ihn McGreavy mit einem Zucken seiner
dünnen Lippen.
   'Verehren ?'
   McGreavy nickte. 'für die Ciragianer sind sie die Wiedergeburten von
Göttern. Eine bestimmte Art von Göttern, , Avatar' genannt. Es sind die
tierischen Erscheinungsformen von Göttern. Die Mymurth sehen den legen-
dären ' Avatars' der ciragianischen Religion und Mythologie sehr ähnlich.
Sie kommen von einem ganz anderen Planeten und haben mit Cirag natür-
lich überhaupt nichts zu tun. Aber jede ciragianische Familie gibt ein
kleines Vermögen dafür aus, ein lebendes Mymurth in ihrem Tempel zu
haben.'
   Alex war fasziniert und angewidert zugleich. Die massigen Tiere beweg-
ten sich schwerfällig umher, die aus dem Panzer ragenden pinkfarbenen,
fleischigen Glieder schoben sie durch den Schlamm des Käfigs vorwärts.
'Wieviel ist ein kleines Vermögen?'
   'Jedes dieser Tiere bringt Dir einhundert Credits. Vielleicht sogar mehr.
Und ich habe achtundzwanzig davon. Macht also achtundzwanzig mal
einhundert Credits. Damit kannst Du Dir all die Schutzschirme und Waffen
kaufen, die Du Dir wünschst!'
   'Warum handelst Du nicht selbst damit?'
   McGreavy lachte bitter. 'Bei meinen kämpferischen Fähigkeiten ? Du
scherzt wohl. Nein, nein, besten Dank! Ich brauche immer ein halbes
Standard-Jahr, bis ich ein paar von diesen Dingern zusammenhabe; Rafe
Zetter hat dann gewöhnlich einen Kunden an der Hand, jemanden wie Ihr,
der schnelles Geld braucht, für gewisse... äh, Unternehmungen.'
   Alex starrte in die hellen Augen des abstoßenden Gesichts. Er war sich
der entstellenden Mißbildungen wie auch des kribbelnden Lebens unter der
Haut des Mannes gar nicht mehr bewußt. Nur eines war ihm im Augenblick
wichtig, außerordentlich wichtig: die Frage, ob er diesem Bekannten von
Rafe vertrauen konnte! Bisher jedenfalls tat er es nicht.
   'Mach mir ein Angebot, dem ich nicht widerstehen kann', sagte
McGreavy, Alex erneut mit der harten Realität konfrontierend.
   Er sagte: 'Dreihundert.'
   McGreavy gluckste und schüttelte den Kopf. 'Denk daran, daß Du ja noch
einen Gewinn erzielen willst. Du wirst mir doch wohl nicht dreimal soviel
bieten, wie Du für einen Mymurth herausschlagen kannst.'
   'Ich meinte... äh, dreihundert für alle zusammen.'
   Eine Sekunde lang stand McGreavy stocksteif und glotzte den Jüngeren
mit starrem Blick an. 'Du machst einen Spaß, oder?'
   'Überhaupt keinen Spaß. Auf der ganzen Welt besitze ich nicht mehr als
300 Credits. Sie sind da an den Falschen geraten, McGreavy.'
   'Aber Du hast doch gerade eine Ladung Shanaskilk-Felle an den Mann
gebracht.'
   'Und dafür Waffen und einen Brennstoff-lader angeschafft. Ich kaufte die
Felle mit Verlust, um damit ins Geschäft einzusteigen. Ich bin kein guter
Händler, McGreavy, ich bin vor allem Kämpfer! Aber ich habe Ihnen das
gesagt.'
   Alex besah sich noch einmal die Mymurth. 'Ich kaufe Ihnen acht Stück ab.
Was würden die kosten?'
   'Ich verkaufe alle -oder überhaupt keinen! Und ich will fünfzehnhun-
dert Credits für sie haben. Rafe sagte, Ihr würdet einverstanden sein...'
   'Rafe hat sich geirrt. Dreh sie einem andern Anfänger an...'
   Alex wandte sich zum Gehen. Das erschreckte Winseln, das McGreavy
ausstieß, war fast komisch anzuhören. 'Ich hebe diese Dinger immer für
Rafe auf. Wer sonst handelt denn noch mit Mymurth:'
   'Ich nehme Ihnen zehn ab -für 300 Credits. Je mehr Schwierigkeiten Sie
machen, um so weniger werde ich bieten.'
   Alex begann, das Ganze zu genießen.
   'Ich muß sie alle loswerden. Und zwar nach Cirag.'
   Alex fragte sich, wo Cirag überhaupt lag. Es war kein Name, der irgend-
welche Erinnerungen in ihm wachrief.
   'Dann müssen Sie einfach trauen', sagte er. 'So wie Sie ja auch Rafe
trauen. Ich gebe Ihnen eine Anzahlung von 300 Credits, und Sie bekommen
dafür ein Drittel von dem, was ich auf Cirag daran verdiene. Ich kehre dann
irgendwann zurück und zahle Sie aus.'
   McGreavy sah ihn starr an. Schwer atmend stieß er hervor: "Ein Drittel,
das deckt kaum meine Unkosten. Fünfzig Prozent.'
   'Vierzig. Das ist mein letztes Angebot!'
   Die Mymurth schnauften unruhig. McGreavy zuckte ergeben mit den
Schultern. Er forderte den Video-Zeugen an und die beiden Männer unter-
zeichneten den Vertrag. Achtundzwanzig Mymurth zum Verkauf auf Cirag,
vierzig Prozent des Gewinns sollten an Pat McGreavy , South City Coriolis 7,
Xezaor gehen.
   Wenn McGreavy richtig lag und die frommen Typen von Cirag mit dem
Geld überkamen...
   Aber wo lag Cirag?
   ... dann konnte die NEMESIS mit Dauer-Strahlern, Zusatz-Raketen,
Zusatz-Schutzschirm-Speichern UND einer Energie-Bombe ausgestattet
werden, und dann konnte die Jagd so richtig losgehen.
   Alex kehrte zum Raumschiff zurück und erstattete Bericht über die Ge-
schäfte des vergangenen Tages.

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